Mittwoch, Juli 27, 2005

Risikofaktor: Piloten

Am vergangenen Freitag.

Was ist geschehen? Und schnell ist es erzählt:

Nach einer Ehe-Tragödie (Mord an seiner Frau) begeht ein Kleinflugzeug-Pilot ein spektakuläres Ende durch Absturz auf dem Reichstagsgelände.

Was hätte passieren können? Nicht viel:

Wäre das Leichtflugzeug in die Glaskuppel des Reichstags gestürzt, so hätte der Absturz zwar Menschenleben gekostet und Schäden gebracht, aber eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland konnte aus solchem Zwischenfall nicht erwachsen. Trotzdem reagiert die Politik mit populistischer Schärfe:

1. Über Großteile der Hauptstadt soll nun ein Flugverbot für Privatflugzeuge verhängt werden.

2. Im Hinblick auf die Fußball-Weltmeisterschaft werden jetzt solche Flugverbote über sämtlichen Spielorten diskutiert. - Ländersache.

3. Bayerns Innenminister Beckstein (CSU) fordert erneut Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Innern. So hält auch SPD-"Innenexperte" Dieter Wiefelspütz hält "eine Flugbereitschaft der Bundeswehr mit Kampfhubschraubern in Berlin" für nötig.

Kanzlerkandidatin Angela Merkel erklärt im Stil ihres Wahlprogramms, dass solche Überlegungen bei entsprechender Gefahr "kein Tabu" sein dürfen. - Hatte ihr jemand das Denken verboten? Den Eindruck habe ich zuweilen. Aber nicht nur bei ihr.

Nun zur Ausgangsfrage des Threads: Was unterscheidet Kampfflugzeug-Piloten von dem Leichtflugzeug-Piloten?
Weniger Stress in der Ehe? Weniger Gewaltbereitschaft zur Krisenbewältigung?

Was unterscheidet ein Kampfflugzeug von einem Leichtflugzeug? Geschwindigkeit und Bewaffnung.
Ein Kräftemessen mit BW-Kampfhubschraubern über dem Regierungsviertel würde gewiss mehr Aufsehen erregen.

Ich bin noch immer gegen das Bombodrom in Vier-Minuten-Entfernung.

Grüße von Sven
www.inidia.de/bombodrom.htm

Donnerstag, Juli 21, 2005

Begriffswandel

Was ist Sicherheit? Was ist Sicherheitspolitik?

Sicherheit, ganz allgemein, ist ein Zustand mit subjektiver und objektiver Seite, der also auch suggeriert und eingebildet sein kann. Wie auch umgekehrt die Bedrohungssituation objektiv oder nur eingebildet sein kann.

Der Begriff Sicherheitspolitik scheint mir rückblickend "neu", jedenfalls nahm ich ihn trotz politischer Interessiertheit in den Siebzigern nicht wahr. Immer wieder auch erlebte ich politische Begriffe kommen und gehen. Was also hat es auf sich mit dem Begriff "Sicherheitspolitik"?

Warum und wann entstand er bzw. wann/warum wurde er wichtig und wer nutzt ihn?

Benutzt wurde der Begriff Sicherheitspolitik zunächst von Verteidigungs- und Außenpolitikexperten benutzt. Spätestens seit den Terroranschlägen vom 11.9.2001 ist es auch ein Begriff der Innenpolitik, in der schon vorher immerhin von "innerer Sicherheit" die Rede war.

Der Begriff Sicherheit hat gegenüber dem Begriff Verteidigung einen weiteren Blickwinkel. Das ist positiv, denn Verteidigungsfälle, ob im Innern oder durch Angriff seitens anderer Staaten ergeben sich nicht als aus heiterem Himmel fallend, sondern bahnen sich an, erreichen kritische Dimension, eskalieren, wenn es nicht erkannt und gehindert wird.

Negativ an der Konjunktur des Begriffs Sicherheitspolitik aber ist, dass er in einem offensiven Kontext steht, wie er in der Politik des "präventiven Verteidigungskrieges" gegen den Irak seinen vorläufigen Höhepunkt fand.
Negativ also, dass der Blickwinkel sich nicht in Richtung zivile bzw. demokratische Intervention erweiterte, sondern militärisch und damit die völkerrechtlich bedeutsame Unterscheidung zwischen offensiven und defensiven Kriegshandlungen verwischt.

Bis hierher haben wir also eine im Vergleich zum Begriff Verteidungspolitik eine bereits zweifache Mehrdimensionierung des Begriffs Sicherheitspolitik:
1. Verbreiterung in der entwicklungsartigen Problembetrachtung (positiv),
2. Verbreiterung in der reaktiven Problembehandlung (negativ, sofern das verstärkt militärischen anstelle von zivilen Problembehandlungen führt.

Als 3. Weiterungsmoment der Sicherheitspolitik gegenüber der Verteidigungspolitk ist die gegenseitige Integration von Innen- und Außenpolitik bzw. von Innen- und Außenverteidigung wahrzunehmen.

Auch das ist zwar nicht prinzipiell neu, wohl aber für die demokratischen Staaten, denn die Aufgabenvermengung von Geheimdiensten, Polizei und Militär war vor dem 11.9.2001 eher ein Charakteristikum für Militärdiktaturen, während es von der Bush-Regierung mit dem Homeland-Ministerium rasch als Reaktion auf Terroranschläge und Milzbrand-Hysterie umgesetzt wurde und Nachahmung in den anderen Industrienationen findet.

Die schlimmst mögliche Interpretation solcher Entwicklung und der Sicherheitspolitik scheint mir die, dass die demokratischen Staaten mit der von ihnen selbst forcierten Globalisierung nicht klar kommen, in deren Folge ohnehin Außen- und Innenpolitik abnehmend unterscheidbar sind - und nun verstärkt nach Möglichkeiten suchen, die in globalen Märkten sich ebenfalls global entwickelnden politischen Krisen in den Griff zu bekommen.
Zwar werden wir vermutlich nicht zu uralten Begriffen wie "Kriegsministerium" zurückkehren, aber die Tendenzen den Krieg auch eigenbegrifflich wieder salonfähiger zu machen, sind unübersehbar. Der "Krieg gegen den Terror" ist nur das prominenteste Beispiel dafür, offensive Vorläufer war die Behauptung "vitaler Interessen" (außerhalb des eigenen Territoriums), das Umrüstungsprogramm auf "Schnelle Eingreiftruppen", der "präventive Verteidigungskrieg" usw.

Diese Entwicklung hin zum Kriegerischen erfährt auch im subjektiven Unterbau der Gesellschaft Festigung. Neubegriffe wie "feindliche Übernahme" (Sprachbereich: Aktiengesellschaften), die "Nulltoleranz", die Behauptung einer "gescheiterten Integrationspolitik" - all das spiegelt einen sich verbreitenden Politik-Pessimismus wider und erhöht die Bereitschaft zur Konflikteröffnung anstelle von Deeskalation, die mittlerweile als Schönfärberei oder gar als Kumpanei mit Terrorismus und Schurkensystem diffamiert mit.

Diese Tendenz zur Verrohung der allgemeinen und der politischen Sprache setzt sich in das militärische Denken fort mit dort ganz anderen Kalibern und finanziellem Aufwand, der immer weniger Mittel für die zivile Weltentwicklung übrig lässt und dadurch Spannungen vergrößert.
Diese Tendenzen können nicht anders als "reaktionär" bezeichnet werden: mehr Polarisierung, weniger differenzierte Problemwahrnehmung bzw. Problembehandlung, weniger Zivilität, mehr Militärisches.
Das ist bedauerlich, denn mit dem Ende des Ost-West-Konflikts waren die Möglichkeiten gut, um einer zivilen Sicherheitspolitik den absoluten Vorrang zu gewährleisten, also beispielsweise die UNO zu reformieren und zum Garanten der internationalen Sicherheit aufzupäppeln.
Ungenutzt blieb diese Chance bislang, weil die Großmächte eine solche Entwicklung blockierten, um sich ihren weitgehenden Handlungsfreiheiten keine Hemmnisse zu errichten.
Ungenutzt blieb diese Chance bislang aber auch, weil die militärisch weniger bedeutsamen Staaten diesen Kurs der Großmächte mittrugen, mindestens aber nicht energisch i.S.v. diplomatisch arbeitsam genug auf die Großmächte einwirkten.

Der Begriff "Sicherheitspolitik" ist alles in allem richtig, wenn er die Zusammenschau von Problemanbahnung zur Vermeidung von Verteidigungsfällen bedeutet, aber deutlich muss eben sein, dass wenn beispielsweise die Innen- und Außenpolitik zu einem Handlungsfeld verschmelzen, dann auch die legitimatorische Grundlage erweitert gehört.
Folglich müssen die Mitspracherechte aller Staaten gefördert werden:
- Verzicht der Großmächte auf ihre Privilegien in der UNO,
- Abbau von weltwirtschaftsprotektionistischen Subventionen solcher Industrien, die konkurrenzfähig in Entwicklungsländern entstehen würden, ...

Das ist schwierig, denn die Entwicklung der Entwicklungsländer wäre kein ausschließlich innenpolitisches Ereignis für beispielsweise die Menschen im Kongo, sondern zugleich die Entstehung einer Konkurrenz auf dem Weltmarkt - und schon immer "belebte die Konkurrenz das Geschäft" nicht nur, sondern ließ auch so manches sterben. Steht in Europa der eigene Arbeitsplatz auf dem Spiel, so wachsen nicht nur hier die multikulturellen, mindestens "interkulturellen" Spannungen, sondern auch die internationalen Spannungen.

Das wäre ein Horrorszenario nicht zuletzt deshalb, weil in den letzten Jahren einige Staaten in den Besitz von Atomwaffen kamen, die wenig demokratische Bremse im Innern haben.

Eine Sicherheitspolitik gegen internationale Konflikte kann eigentlich nur antinationaler Qualität sein, um den Staaten die Fähigkeit und Legitimation zur Konflikteröffnung zu nehmen.

Aber auch solche an den Zug der wirtschaftlichen Globalisierung angehängte Weltrepublikanisierung würde zwar die Nationen Bedeutung kosten, nicht aber wären damit zugleich Interregionalismus und Kulturismus als Probleme gelöst.
Auch hierzu muss Sicherheitspolitik Arbeit leisten - und wenn schon im halbwegs geordneten Deutschland das Handtuch hinsichtlich multikulturelle Gesellschaft geworfen würde, so käme die Globalisierung besser gestern als heute vom Tisch, was jedoch tatsächlich Unfug ist, denn sie lässt sich nicht rückabwickeln, sondern will gemeistert werden.

Geschieht das nicht für alle Welt spürbar und glaubwürdig, dann geraten die Wirtschaftsstarken in den Verdacht neokolonialistischer Absichten, was tatsächlich weitverbreitete Anschauung in vielen Teilen Welt ist und den regionalen Terrorismus eine sich zunehmend internationalisierende Entwicklung erleichtert.
Das wiederum würde jede Sicherheitspolitik zumindest für die Zivilbevölkerung allerorten illusorisch werden lassen, denn die Terrorismus-Bekämpfung kann wenig zum Schutz "weicher Ziele" auf die Beine stellen.

Sicherheit ist ein umfassender Zustand, ein umfassendes Empfinden, denn es könnten um einen herum zehntausend liebe Menschen stehen, aber stünde nur einer daneben, der zustechen kann und will, so wäre die Sicherheit auch zwischen den zehntausend lieben Menschen für den Bedrohten dahin.

So umfassend würde der Begriff Sicherheitspolitik beliebig ausufern lassen und alle Politik wäre fortan nur noch "Sicherheitspolitik". Das wäre die Hysterisierung der Politik und Gesellschaft.

Demokratische Politik sollte demgegenüber reserviert sein, denn die Arbeitsteiligkeit ziviler Gesellschaften sind im Unterschied zu militärischen Gesellschaften vor allem durch die Prinzipien des Nebeneinanders und der Subsidiarität geordnet und nicht hierarchisch totalitär.

Daraus folgt, dass die Verantwortung für die Sicherheitspolitik als gemeinsame Verantwortung aller Ressorts verstanden und kollegial wahrgenommen wird. Bestrebungen nach einem alles überragenden und vereinnahmenden "Heimatschutzministerium" sind auch aus diesem Grund zurückzuweisen. Ein weiterer ist der Anachronismus, der in solch Begriff andeutet, sobald "Heimat" sich die Menschen aussuchen will und nicht die Menschen die Heimat aussuchen dürfen.

- sven -